– Erzählung aus der Perspektive eines Spielers –
„HIPP-HIPP-HURRAAA!! HIPP-HIPP-HURRAAAAHHH!!!“
… johlten Ende Oktober 2015 eine Handvoll Leute in einem Lokal.
Zwei Wochen früher, am 10.10.2015:
Gnadenlos riss mich der Lichtwecker frühmorgens aus meiner viel zu kurzen Verweildauer im Reich der Träume, und ich quälte mich mit dem Rad zur Sporthalle in Hamburg-Niendorf. Gemeinsam mit Wladimir Meyer, Christian Gewiese, unserem Spitzenspieler Jan Eric Baron und mir starteten wir für den Hamburger Gehörlosen Sportverein bei den deutschen Meisterschaften.
Um 8 Uhr erschien ich, um beim Aufbau der Tische in der heimischen Halle mitzuhelfen. Dabei durfte ich feststellen, dass meine Mannschaftskollegen wesentlich disziplinierter waren und die Tische schon bereit standen. Nach und nach trudelten die gegnerischen Mannschaften aus den anderen Städten in die Halle ein, um sich nach einem herzlichen Hallo einzuspielen.
Nach einer Begrüßung durch den Deutschen Sportwart Horst-Peter Scheffel, durch… starteten wir in das mit Tischtennisschiedsrichtern besetzte fantastisch organisierte Turnier.
Die Spiele wurden im modernen Swaythling-Cup System ausgetragen, bei dem zwei Dreier-Mannschaften maximal 3 Einzel, 1 Doppel und dann wieder 3 Einzel austrugen. Gewonnen hat die Mannschaft, welche zuerst 4 Punkte erzielte. Die Meisterschaft wurde in Form von Gruppenspielen ausgetragen, bei dem die jeweiligen Gruppenersten und –zweiten ins Halbfinale kamen.
Das Turnier begann für uns mit einem Paukenschlag: Wir Hamburger erwischten in der Vorrunde die „Todesgruppe“ mit den Mitfavoriten Halle sowie Mannheim und dem Außenseiter aus Essen. In der anderen Gruppe trugen die Mannschaften aus Berlin, Rottenburg und Braunschweig ihre Kämpfe um die ersten beiden Gruppenplätze für das Halbfinale aus.
In der Dreiergruppe setzte sich der Mitfavorit aus Berlin klar gegenüber Rottenburg und Braunschweig durch. Die Austragung der Wettkämpfe dauerte lediglich 2-3 Stunden, während in unserer Vierergruppe sich die Spiele bis etwa um 16 Uhr hinzogen.
Um für die schweren Spiele in den Rhythmus zu kommen, stellten wir uns bereits in Spiel gegen den klaren Außenseiter aus Essen in Bestbesetzung auf. Mit einem nie gefährdeten 4:0-Sieg entschieden wir die Partie für uns. Infolge der Spielstärke spielten Jan Eric und ich im Laufe des Turniers sämtliche Spiele mit während sich Christian und Wladimir abwechselten. Die Kämpfe im Doppel trugen Jan Eric und ich aus.
Mannheim unterlag im ersten Gruppenspiel gegen Halle 4:3 und stand deswegen gegen uns bereits unter Zugzwang. Obwohl wir leicht favorisiert waren, stand dieses Spiel infolge einer geschickten taktischen Aufstellung der Mannheimer auf Messers Schneide: Jan Eric punktete gegen Mannheimer Spitzenspieler Bähr sowie gegen Musseleck, während ich gegen Bähr und den zweiten Spitzenspieler Ridinger lediglich an Erfahrung gewinnen durfte. Das Doppel konnten wir nach einer vergebenen 2:0-Führung dennoch knapp mit 3:2 für uns entscheiden, während Wladimir sein erstes Einzel auch gegen Ridinger verlor. Somit stand es 3:3 vor dem entscheidenden Einzel zwischen Wladimir und Musseleck. Dieses Spiel war anfangs stark von Nervosität geprägt. Beim 1:1 – Spielstand nahm sich Wladimir eine Auszeit. Wir erinnerten ihn an eins seiner besten Spiele, welches er mal bestritt und er dies nur abzurufen brauchte. Da platzte der Knoten bei ihm, und in Form einer fulminanten Topspin- und Blockserie holte er sich mit einem 3:1-Satzsieg den erlösenden Siegpunkt für uns.
Das Erreichen des Halbfinales war gesichert. Dennoch strebten wir gegen den Mitfavoriten aus Halle einen Sieg an, um nicht als Gruppenzweiter bereits im Halbfinale gegen den Mitfavoriten aus Berlin antreten zu müssen. Wir starteten mit einem 1:1, wobei Jan Eric sich klar gegenüber Meyer durchsetzte und Christian gegen den Nationalspieler Schölzl die Segel streichen musste, bevor ich gegen den 19-jährigen Spieler König antrat. Trotz seines jungen Alters zwang er infolge seiner Abgeklärtheit und Schnelligkeit mein ganzes spielerisches Können auf, welches gerade noch dazu ausreichte, um mich im 5. Satz mit 11:9 gegen ihn durch zu setzen. Es stand 2:1 für uns, als Jan Eric und ich im Doppel gegen das junge Paar Schölzl/König antrat. Die Chancen standen 50:50, aber Jan Eric fischte die unmöglichsten Bälle zurück. Zudem gaben seine fulminanten Topspins den Rest, so dass wir dieses vorentscheidende Doppel klar in 3:0-Sätzen für uns entscheiden konnten. Im drauf folgenden Einzel setzte Jan Eric gegen Schölzl seinen Lauf fort, stieß dabei auf erheblich mehr Widerstand, bevor er sich mit einem 3:2 Satzsieg den gewinnbringenden 4. Punkt für uns holte.
Somit standen wir nach etwa 6-stündigem nahezu pausenlosem Spiel als Gruppenerster fest und erwischten im Halbfinale den leichteren Gegner aus Rottenburg. Trotz wunderschöner Ballwechsel musste unser Abwehrass Christian sich den sicheren Bällen von Knöll beugen und gab so den einzigen Punkt ab: Mit einem ungefährdeten 4:1-Sieg erreichten wir das Finale!
Weil das andere Halbfinale länger dauerte, konnten wir um ca. 18 Uhr endlich im Rahmen einer etwa halbstündigen Pause etwas Kraft tanken, bevor wir im Endspiel gegen Berlin antraten: Trotz klarem Mannschaftsergebnis in Form eines 4:1-Sieges der Berliner gegen Halle fielen die meisten Spiele knapp aus.
Diese Kraft benötigten wir für das Endspiel. Die ersten beiden Spiele erwiesen sich als eine jeweils klare Angelegenheit: Gegen den dritten Mann aus Berlin ließ Jan Eric nichts anbrennen und entschied dieses Einzel in 3:0 – Sätzen für sich, während Wladimir gegen den Weltspitzenspieler Mechau klar in 0:3 – Sätzen unterlag. Es stand 1:1, bevor ich gegen Moghaddamzadeh antrat. Mühsam bewahrte ich infolge zahlreicher gegnerischer Glücksbälle meine Fassung und schrammte knapp an einer gelben Karte vorbei. Als mein Gegner im entscheidenden 5. Satz in Form eines weiteren gegnerischen Netzrollers seine 5:2 – Satzführung in eine 6:2 – Führung ausbaute, nahm ich mir eine Auszeit, um meine Fassungslosigkeit in eine gnadenlose Entschlossenheit umzuwandeln, um danach 10:7 zu führen und anschließend mit meinem ersten und einzigen Glücksball dieses Spiel für mich zu entscheiden. 2:1 führten wir, bevor wir gegen das starke Doppel Mechau/Mogh. antraten. Die Kombination aus Mog unorthodoxem Spiel und Mechaus geballter internationaler Erfahrung brachte das gegnerische Doppel in eine 2:0 – Führung, bevor Jan Eric wieder mal sämtliche Register seines Könnens zog: Er bügelte manchen Lapsus meinerseits aus, gab mir die passenden Anweisungen und führte uns mit Schlägen augenscheinlich jenseits der physikalischen Gesetze zu einem 3:2 – Satzsieg. 3:1 für uns. Ob Jan Eric der 4. Punkt gelang? Er musste seinen Kräften Tribut zollen und unterlag gegen den wie entfesselt aufspielenden Mechau in 0:3 – Sätzen. Ein Punkt fehlte uns noch für den Titel, als ich gegen Sommer antrat. Trotz – wieder mal zahlreicher Glücksbälle gegen mich – behielt ich die Nerven und entschied dieses Spiel sicher in 3:0 – Sätzen für unsere Mannschaft.
JAWOLL!!!! WIR SIND DEUTSCHER MEISTER 2015!!!
Unser zweiter Titel der Hamburger Gehörlosentischtennisvereinsgeschichte! Dementsprechend groß war unsere Freude. Auch wenn Jan Erich und ich die meisten Spiele bestritten, hatten alle den gleichen Anteil am grandiosen Erfolg: Wladimir holte den zwingend nötigen entscheidenden Siegpunkt gegen Mannheim. Christian nahm die undankbare Aufgabe auf sich, wiederholt gegen übermächtige Gegner antreten zu müssen und zeigte vorbildlichen Einsatz nicht nur während der Spiele sondern auch außerhalb, in dem er uns mit Herz und Seele anfeuerte, ermahnte und coachte. Dankend erwähnen möchte ich auch Stefan W., einem befreundetem Spieler aus meinem hörenden Verein, der uns während des gesamten Turniers begleitete.
Mit strahlenden Augen nahmen wir die Glückwünsche und Goldmedaillen von … und Horst Peter Scheffel entgegen. Nach einem angemessenen Freudentaumel holte mich der Alltag schnell wieder ein: „Los Thomas, komm, Tische abbauen!!! Du hast heute Morgen verpennt!“ ermahnte Christian mich.
Den 3. Platz entschied Halle gegen Rottenburg für sich. Fünfter wurde Mannheim, sechster Braunschweig und der siebte Platz ging nach Essen.
Zu guter Letzt möchte ich mich ganz herzlich bei den Ausrichtern und Organisatoren Mathias Falkenrich, Horst-Peter Scheffel und Danny Gunawan bedanken. Unser Dank gilt stellvertretend auch für alle Schiedsrichter, welche die Meisterschafen mit sicherer Hand überwachten und ihre Arbeit mit viel Übersicht, Konzentration und menschlichem Einfühlungsvermögen ausführten.
Etwa zwei Wochen später lud ich infolge des gewonnenen Titels Stefan W. zu einem Bier nach dem Training ein. Wie von Zauberhand fanden sich noch weitere Spieler vom Training im Lokal ein sodass daraus eine Lokalrunde erwuchs. Wir stießen an, angesichts der gemeinsam geteilten Freude hallte durch das ganze Lokal:
„HIPP-HIPP-HURRAAA!! HIPP-HIPP-HURRAAAAHHH!!!“